V E X A S H L E Y
Material Girl
Die feministische Pornoregisseurin VEX ASHLEY über online Abhängigkeiten,
Sex-Industrie Stigmata, und das Magische daran, Leuten beim Ficken zuzuschauen.
Wenn Sex nicht gleich Sex ist und Filme darüber schon gar nicht, dann muss sich unsere
vorgefertigte Definition von Pornographie ändern. Mulvey’s Male Gaze ist dabei sich selbst
abzuschaffen – in der Sexfilm Industrie dominiert der männliche Blick immer noch. Erika Lust
revolutioniert die Branche schon seit 2004 mit ihren Erotikfilmen, jetzt steigt Regisseurin und
Darstellerin Vex Ashley ins Bett der feministischen Filmemacher. Ihre Arbeiten sind
Kurzepisoden aus Fantasien, Ausschnitte von Tag-Träumereien und Ausgeburten nächtlicher
Gedanken. Sie sind explizit, ohne alles zu offenbaren. Statt Fleisch und Überinszenierung
zeigen sie Rausch und Schweiß. Vex erzählt Geschichten mit Menschen, durch Bilder, über
Menschen und löst so den Begriff Pornographie von seinen Assoziationen. Künstlerisch,
magisch, emanzipiert, porno.
Nele Tüch: Wie würdest du deine Arbeit einem Kind erklären?
Vex Ashley: Ich würde sagen, dass ich Filme mache. Wenn es angebracht wäre und das Kind fragen
würde, würde ich erklären, was meine Filme zeigen.
NT: Welcher Regisseur ist dein Stilvorbild in Bezug auf Ästhetik?
VA: Meine Einflüsse reichen so viel weiter, als dass ich mich auf nur eine Person fokussieren
könnte. Filmemacher, wie Cronenberg, Lynch, Gaspar Noé. Schriftsteller, wie Borges, Sylvia
Plath, aber auch PJ Harvey, Nick Cave oder Künstler wie Carolee Schneeman und Helen
Chadwick sind Einflüsse für mich. Ich bin eine Ideen-Elster. Ich sammle und katalogisiere die
ganze Zeit.
NT: Um es in deinen eigenen Worten zu sagen: Du existierst „on a screen“ – genauso wie deine
Arbeit. Für den Vertrieb und das Networking ist das Internet natürlich essentiell, aber wie
stehst du zu einschränkenden sozialen Medien?
VA: Manchmal muss ich mein Smartphone wortwörtlich und physisch durch den Raum werfen um
mich selbst davon abzuhalten, die gleiche App immer und immer wieder zu re-freshen. Ich bin
eine sehr soziale Person und das Internet füttert dieses Bedürfnis. Ich glaube nicht, dass wir
dem Aufstieg der Technologie in unseren Leben entgegenwirken sollten, es ist nicht
grundsätzlich gut oder schlecht – nur anders. Es vergrößert unsere Realität und wir müssen
uns daran anpassen, um es für uns arbeiten zu lassen.
NT: Schränkt Explizitheit unsere Imagination ein?
VA: Manchmal liegt Wert darin in etwas ohne Erwartungen hineinzugehen. Gerade bei
Pornographie sind wir obsessiv an unsere persönlichen Vorlieben-Stichwort-Suchbegriffe
gebunden. Auf der Jagd nach den immer gleichen 3-Minuten Raubkopien-Clips, die
kontextloses Ficken zeigen. Etwas zu präsentieren, dass keine Labels hat, bei dem du
neugierig beginnen musst und du Körper, Schauspiel und Konzepte siehst, die out-of-the-box
sind, die dich überraschen können, das ist wichtig!
NT: Wie spielen Politik und Pornographie zusammen?
VA: Ich würde sagen, ich bin nur dein langweiliger, regulärer, liberal / soft core Herzschmerz-
Sozialist. Ich werde immer politischer und immer wütender, je älter ich werde. Es ist einfach
unmöglich Ungerechtigkeit im gleichen Maße zu ignorieren, wie früher, als der freie Zugriff
auf Informationen durch das Internet noch nicht gewährt war.
Pornographie ist politisch, weil sie unsere Körper, vor allem Frauenkörper politisiert. Es wird
über sie debattiert, sie werden begrenzt und eingeschränkt – und verschachert. Gleichzeitig
sollte nicht jede Pornographie mit politischen Intentionen geschaffen werden. Das Stigma der
Assoziation mit Sexarbeit zwingt eine politische Sichtweise auf.
NT: Hat deine Arbeit das Potential Gender-Abgrenzungen zu verwischen und Frauen und
Männer dazu zu emanzipieren ihre Identitäten frei zu wählen?
VA: Ich kreiere meine Arbeit mit keiner Intention, außer etwas Interessantes zu schaffen. Es gibt
so viele tolle Trans- und genderfluide Menschen, die unglaubliche Arbeit über
Geschlechteridentitäten, aus ihrer eigenen Erfahrung heraus, produzieren. Ich habe Viel von
ihnen gelernt, aber als jemand, die nicht repräsentativ für diese Themen ist, konzentriere ich
mich darauf, Filme zu drehen, die spannend und aufregend für mich selbst sind. Wenn
jemand aus seiner Empirik etwas in meine Arbeit hineinlesen kann, dann ist es ein
unfassbares Privileg und ein Bonus.
Ich glaube wir werden uns unserer Identitäten bewusster. Das kommt von allen möglichen
Formen von Medien, Pornographie eingeschlossen.
NT: Deine Kurzfilme unterscheiden sich substantiell von der herkömmlichen Pornographie und
der riesigen, dahinterstehenden Industrie. Glaubst du, dass das was du tust, immer noch
als Pornographie, sogar feministische, bezeichnet werden kann? Oder muss ein neuer
Begriff gefunden werden?
VA: Was ich mache ist Pornographie, also nenne ich es auch so. Die Leute ficken, deutlich und
detailliert. Ich glaube es ist wichtig Solidarität mit dem Wort zu zeigen. Wir erfahren so viel
Stigma und Schamgefühl von den Menschen außerhalb der Branche, sodass Unterteilungen in
würdig / unwürdig oder akzeptabel / inakzeptabel nur dazu beitragen in deren Hände zu
spielen. Pornographie ist nicht beschämend. Aber was ich glaube ist, dass wir die Idee des
Wortes zu einem Medium, anstatt einer Definition ändern müssen. Eine Art von männlich
fixierter, vorhersehbaren Pornographie ist zu dessen Definition geworden und sie muss
ausgeweitet werden.
NT: Hinter oder vor der Kamera?
VA: Ich liebe Regiearbeit, weil es ziemlich magisch ist, Leute ficken zu sehen. Aber dann fühle ich
mich immer, als könnte ich niemanden fragen etwas zu tun, was ich nicht auch tun würde.
Also finde ich mich immer wieder dabei mich auszuziehen oder in ein Bett zu hüpfen. Ich will
ein Teil der großartigen Verbindung sein, die nur auf Shoots entsteht. Ich werde eifersüchtig!
NT: Wie würde deine eigene Sexualität in einem Song klingen?
VA: Ich wünschte er wäre unangestrengt sexy und düster. Wie Nick Cave, aber ganz ehrlich, sie
sollen einfach endlich einen Song machen, der „Romantic Butt Sex“ heißt – Im Prinzip ist das
meine sexuelle Präferenz.
NT: Wie authentisch kann Pornographie sein?
VA: Sobald du eine Kamera auf jemanden richtest, ändert sich sein Verhalten. Pornographie ist
Performance, es ist ein Handwerk, wie Schauspiel und Mainstream Filmemachen. Es ist keine
Realität, auf einem Level ist es immer kuratierte Fantasie. Die Nachfrage nach einem
unerreichbaren Ideal von Authentizität in Pornographie limitiert ihr Potential. Sie kann ein
Medium sein um Geschichten zu erzählen, um zu kommunizieren. Orgasmen, wie Tränen,
können unglaublich gefühlsgeladene Werkzeuge sein. Schauspieler können auf der Bühne für
ihr Publikum weinen, aber wenn ein Performer einen Orgasmus aufführt, wird es als
unethisch angesehen.
Pornographie kann so viele Dinge sein: Dokumentarfilm und Fantasie können im gleichen
Genre existieren, ohne dabei das andere als weniger wert zu qualifizieren. Authentizität sagt
eigentlich gar nichts aus.